Wie weit rechts darf's denn sein?


Eine Glosse fürs Dampfer-Magazin, im Mai 2014. Geschrieben und gesprochen von Philgood

Vom 22. bis zum 25. Mai finden die Europawahlen statt.
Und ich kann Euch heute schon sagen wie die Wahlen ausgehen werden, Ihr könnt mich „Das Orakel vom Dampferhimmel“ nennen. Die etablierten Parteien werden nämlich einmal mehr gewinnen und das ziemlich deutlich. Zusätzlich werden die extremen Kleinparteien am linken und vor allem am rechten Rand des politischen Spektrums zulegen. Rechtspopulismus ist "in" und das wird sich auch bei diesen Wahlen einmal mehr zeigen.

Parteien wie die AfD, Wahre Finnen, Front National, Lega Nord, Ukip, Dansk Folkeparti, SGP und einige mehr sind auf dem Vormarsch und werden Wählerstimmen gewinnen. Diesen Trend kann man grundsätzlich seit 9/11 verfolgen, in den letzten Jahren hat er aber im Schatten der amerikanischen Tea Party speziell in Europa noch einmal stark zugelegt.
Das Problem ist nur, diese Rechtspopulisten haben zwar viele Forderungen die sie auch bei jeder sich bietenden Möglichkeit marktschreierisch vortragen, aber - sie haben keine Lösungen. Es sind eben Populisten, in der Opposition können sie ihre Rolle voll ausspielen und sich maximal effekthaschend aufspielen. Für Lösungen sind dann die anderen zuständig.

Dieser Trend zum Rechtspopulismus machte sich auch in der Dampfergemeinde mehr und mehr breit. Jeder Politiker der irgend etwas zum E-Dampfen sagt, das nicht nach Arzneimittel und Tabakrichtlinie tönt wird frenetisch gefeiert. Ich war z.B. entsetzt über den Auftritt von Lega Nord Politiker Mario Borghezio, der mit einer Schweizer Flagge die Sitzung im EU-Parlament störte und schliesslich des Saales verwiesen wurde. Nun, der Auftritt war eine Sache, solches ist man sich von Herrn Borghezio ja schon gewohnt. Aber, dass dieser Mensch in den sozialen Medien und in den Dampfergruppen wochenlang als Held gefeiert wurde, das hat mich dann doch sehr irritiert!

Ausgerechnet Borghezio, vorbestraft weil er Zelte von obdachlosen Einwanderern angezündet hat, vorbestraft weil er ein marokkanisches Kind genötigt hat, vorbestraft wegen unzähliger Verstösse gegen das Rassismusgesetz, ausgerechnet dieser Borghesio, der mit einer völlig undemokratischen und pubertären Inszenierung auch seine eigene Legitimation als gewählter Volksvertreter in Frage stellt, ausgerechnet dieser Borghezio wird gefeiert als hätte er die Demokratie und Europa neu erfunden. Ja, dieser Borghezio der die Ideologien des Massenmörders Anders Breivik nach eigener Aussage „hervorragend“ findet, wird zum Star der Dampfergruppen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel, die YouTube-Tirade des österreichischen MEPs Ewald Stadler gegen die EU und gegen die Tabakrichtlinie. 4:36 Minuten lang sagt Herr Stadler exakt das was die Leute hören wollen, in eindringlichem Ton – und es gelingt. Der Clip wird wochenlang auf Facebook herumgereicht, obwohl er eigentlich völlig inhaltslos ist. Und niemand merkt an, dass Herr Stadler homosexuelle Partnerschaften offiziell als „pervers“ einstuft und gegen jegliche Form von Abtreibung ist.

Noch ein Beispiel gefällig? Der britische Hersteller und Händler Totally Wicked spendete der rechtspopulistischen UKIP um Nigel Farage 25'000 Pfund, der Gründer und Hauptaktionär Jason Cropper schiesst noch einmal 11'000 Pfund nach. Das sind umgerechnet über 43'000 Euro, mit denen Totally Wicked politisch Einfluss auf die Tabakregulierung nehmen wollte. Der Parteichef Nigel Farage drehte denn auch tatsächlich ein YouTube-Video in dem er eine E-Zig der besagten Marke dampfte und diese ganz toll fand. Der Clip war aber sogar der Facebook-Gemeinde zu suspekt, er wurde nur rund 13'000 mal angeschaut. Bezeichnenderweise fehlte Herr Farage denn auch bei der Abstimmung zur Tabakrichtlinie und hat seine - von Totally Wicked gesponsorte - Stimme nicht abgegeben.

Dieses Beispiel ist exemplarisch für den heutigen, salonfähig gewordenen Populismus. Man schreit laut, sagt das was die Leute hören wollen, verspricht viel, wird gewählt – und macht schlussendlich nichts. Weil man halt keine Lösungen hat, sondern nur warme Luft verbreitet. Kennen wir das alles nicht schon von irgendwoher?

Liebe Dampfer, wir sind als Dampfer eine Gemeinschaft. Aber wir sollten eines nie vergessen. Das Einzige was uns verbindet ist die Tatsache dass wir früher Raucher waren und heute Dampfer sind. In allem anderen unterscheiden wir uns komplett. Wir stehen in ganz unterschiedlichen Lebens- und Berufssituationen, wir haben alle einen persönlichen Background, eine individuelle Vergangenheit und Zukunft. Und deshalb wird jeder von uns die Leute und die Parteien wählen von denen er glaubt dass sie seine Interessen am besten vertreten.

Wir hatten durch unseren Kampf für das Dampfen einen sehr tiefen Einblick in die nicht wirklich demokratischen Strukturen der EU. Mich selber und viele andere Dampfer hat das sehr nachdenklich gemacht. Aber wir haben auch gesehen dass es MEPs gibt die sich ehrlich für gewisse Dinge einsetzen. Denkt an Frau Dr. Renate Sommer, sie hat ehrlich und mit demokratischen Mitteln für unsere Sache gekämpft, weil sie von der Sache überzeugt war. Sie steht heute – wie wir auch – auf der Verliererseite. Aber sie hat nicht wie die Populisten einfach das Blaue vom Himmel erzählt, sondern sie war aktiv, hat gehandelt und gekämpft.

Für mich persönlich ist eine Partei wie die CDU nicht wählbar. Aber Menschen wie Frau Dr. Sommer sind es dennoch. Für mich. Und ich bitte Euch alle, entscheidet für Euch persönlich wer für Euch wählbar ist. Vielleicht sollte man generell nicht Parteien wählen, sondern Menschen! Ehrliche, engagierte Menschen die noch Visionen haben und gewillt sind den Karren aus dem immer tiefer werdenden Dreck zu ziehen. Sie sind selten. Aber es gibt sie!

In diesem Sinne, gehabt Euch wohl – und allzeit gut Dampf!

Euer Philgood